Von Olivier Kessler
Wie könnte ein liberaler Umgang mit einem Virus aussehen? Diese Prinzipien gilt es zu beachten.
Wer die exklusive Vergabe von Grundrechten an Geimpfte befürwortet, begründet dies oft damit, dass die Freiheit des Einzelnen nun einmal dort ende, wo die Freiheit des Anderen beginne. Diese Binsenweisheit verdeutlicht richtigerweise, dass die individuelle Freiheit nicht grenzenlos sein kann. Doch ist dieses Prinzip uneingeschränkt gültig? Die Antwort hängt von der Definition des Freiheitsbegriffs ab.
Im Hinblick auf das gesellschaftliche und politische Leben verstehen Liberale unter Freiheit die Minimierung menschlichen Zwangs. Jeder soll seine Entscheidungen nach eigenem Gutdünken unter Wahrung der Selbstverantwortung treffen dürfen, solange man keinen Zwang anwendet.
Wer fordert, dass die Grundrechte einer Gruppe von Menschen aufgrund ihres Impfentscheids nicht mehr gelten sollen, weil die Freiheit der Ungeimpften an der Freiheit der Geimpften endet, beruft sich nicht auf ein liberales Freiheitsverständnis. Vielmehr meint Freiheit in diesem Kontext das rücksichtslose Ausüben des eigenen Lebensstils — ungeachtet der Abwehrrechte seiner Mitmenschen. Nach dieser Logik soll der Staat jene bevorzugen, die sich vor einem verhältnismässig ungefährlichen Virus (Infektionssterblichkeitsrate der unter 70-Jährigen von 0.05%) fürchten, indem er die Ungeimpften aus dem gesellschaftlichen Leben aussperrt, damit es den Ängstlichen bei ihren Besuchen in Beizen, Kinos und Zoos wieder wohl ist. Wer nun einwendet, es ginge doch darum, die Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern, der ignoriert die Tatsache, dass während der letzten eineinhalb Jahre die zertifizierten Intensivbetten massiv abgebaut wurden — es also nicht darum gehen kann.
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Bild: Flickr, Joseph Donnelly – Liberty Sunset