Von Olivier Kessler
Schon bald darf sich das Schweizervolk mit der Frage auseinandersetzen, ob in der Schweiz ein gesetzlicher Mindestlohn verankert werden soll. Gegen ein Engagement für bessere Arbeitsbedingungen ist nichts einzuwenden. Staatlicher Arbeitnehmerschutz hingegen ist in aller Form abzulehnen, wie die Geschichte von Maria zeigt.
Maria arbeitet in einer Pizzeria als Kellnerin. Mit ihrem Lohn von 3‘000 Franken im Monat ernährt sie sich, finanziert die Wohnung, bezahlt die Zwangsversicherungen und die ständig steigenden Steuern und Abgaben. Viel Platz für Luxus und Ferien in der Karibik bleibt nicht. Trotzdem kommt sie knapp über die Runden und ist glücklich, dass sie überhaupt eine Anstellung in der Schweiz gefunden hat. Den besseren Lebensstandard und den im Vergleich zu ihrem Herkunftsland höheren Lohnniveau schätzt sie sehr.
Nun kommen Vertreter einer ganz besonderen Menschengattung daher, die sich selbst als „sozial“ bezeichnen: die sogenannten Gutmenschen. Sie empfinden es als „widerlich“, dass jemand wie Maria nur 3‘000 Franken im Monat verdient. Mit einem ultimative Konzept glauben sie Maria und alle anderen mit tieferem Einkommen reicher zu machen: mit einem gesetzlichen Mindestlohn. Mindestens 4‘000 Franken im Monat sollen es für alle sein. Der Staat soll Arbeitgebern verbieten, Löhne unterhalb dieses Betrags auszuzahlen. Einkommensbezüger unter diesem Niveau würden so in Zukunft in den Genuss eines höheren Lohns kommen. Klingt doch wunderbar, nicht wahr? Trotzdem ist Maria strengstens davon abzuraten, den gutgemeinten Vorschlag zu unterstützen. Sie würde sich nämlich selbst den Ast absagen, auf dem sie sitzt.
Mindestlohn bringt Unternehmen in Schwierigkeiten
Die Mindestlohn-Idee hat selbstverständlich einen Haken. Maris’s Arbeitgeber Giuseppe steht in einem täglichen Wettbewerb um die Gunst der Kunden. Selbstverständlich spielt die Qualität seiner Pizzas eine gewichtige Rolle. Eine mindestens ebenso grosse Bedeutung haben allerdings die Preise, welche die Gäste für die Mahlzeiten bezahlen müssen. Wenn der Staat Giuseppe nun vorschreibt, dass er all seinen Kellnerinnen ab sofort 4‘000 anstatt 3‘000 Franken bezahlen müsse, belastet dies sein Unternehmen stark.
Angenommen, die Pizzeria beschäftigte bislang zwölf Kellnerinnen zu je 3‘000 Franken Monatslohn. Wenn Giuseppe nun jeder Mitarbeiterin 1000 Franken mehr bezahlen muss, hat er vereinfacht gesagt zwei Möglichkeiten: Entweder er entlässt drei Kellnerinnen, um die bisherigen Lohnausgaben von 36‘000 Franken zu stabilisieren (12 Kellnerinnen x 3‘000 Franken = 9 Kellerinnen x 4‘000 Franken) – mit der Folge, dass die neun Kellnerinnen nun gestresster am Arbeitsplatz sind, da sie weiterhin die Arbeit von 12 Kellnerinnen erledigen müssen.
Eine zweite Möglichkeit besteht für Giuseppe darin, zu versuchen, die Zusatzkosten von 12‘000 Franken (12 Kellnerinnen x 1‘000 Franken erzwungene Lohnerhöhung) auf die Gäste abzuwälzen. Diese müssten dann für eine Pizza Prosciutto nicht mehr 18 Franken, sondern 30 Franken bezahlen. Ob sich die Kunden in Anbetracht von solchen Preiserhöhungen immer noch ein Essen in dieser Pizzeria leisten können und wollen, ist zu bezweifeln. Durch den Wegfall der Kundschaft entsteht für Giuseppe dasselbe Problem wie bei der ersten Variante: Er muss Kellnerinnen entlassen, weil er sich deren Anstellung nicht mehr leisten kann.
Mindestlohn = Förderung der Arbeitslosigkeit
Folge eines starken Arbeitnehmerschutzes ist in den meisten Fällen eine höhere Arbeitslosigkeit. Dies ist beim gesetzlichen Mindestlohn nicht anders. Gerade die Tieflohnjobs kommen dadurch arg unter Druck, da eine Anstellung für Unternehmer nur unterhalb eines gewissen Lohnniveaus rentabel ist. Die Vorstellungen der Mindestlohn-Initianten entpuppen sich deshalb als völlig realitätsfremd. Aus welchen Mitteln soll Giuseppe dann auch diese neuen Löhne bezahlen? Entlassungen sind meistens unausweichlich.
Ein stärkerer Kündigungsschutz wäre dann wohl das nächste, was diejenigen fordern würden, die für den Schutz der Arbeitnehmer einstehen. Folge dieses nächsten Schritts in der Interventionsspirale wäre, dass Unternehmer aus Angst, die Angestellten das Leben lang durchfüttern zu müssen, im Zweifelsfall gar keine Arbeitsplätze mehr schaffen. Diese Situation ist vergleichbar mit einem Blind-Date, bei dem man sich vor dem Treffen verpflichten muss, die neue Bekanntschaft zu heiraten. Würden Sie sich auf das Date einlassen? Die eine politische Intervention führt zur nächsten und diese wieder zu nächsten und diese wieder zur nächsten. Um es in den Worten von Ludwig von Mises zusammenzufassen: „Immer wenn die Regierung in das Marktgeschehen eingreift, führt dies schrittweise in den Sozialismus.“
Hinter dem politisch korrekten Begriff des „Mindestlohns“ versteckt sich ein getarntes Verbot – das Verbot eines Beschäftigungsverhältnisses unter einer festgelegten Lohnhöhe. Was dabei aber vergessen wird: Ein Mindestlohn kann die Zahlungsbereitschaft der Arbeitgeber nicht verändern, da per Gesetz keine neue Nachfrage und kein zusätzliches Kapital geschaffen werden kann. Vielmehr nimmt ein Mindestlohn weniger gut bezahlten Menschen wie Maria den Job weg.
Lieber ein geringes Einkommen als gar keines
Selbstverständlich darf und soll man schlechte Arbeitsverhältnisse kritisieren. Wenn ein Chef beispielsweise seine Mitarbeiter unmenschlich behandelt und schlecht bezahlt, soll man dies an den Pranger stellen dürfen – ohne nach dem Staat zu rufen. Sollte sich ein Arbeitgeber so aufführen, stellt er sich damit selber ins Abseits. Ein respektloses Verhalten gegenüber den Mitarbeitern und miserable Löhne verteuern für den Arbeitgeber die Suche nach guten Mitarbeitern, da diese nicht freiwillig unter schlechten Bedingungen arbeiten wollen. Es besteht grundsätzlich für Unternehmer einen Anreiz, die Angestellten gut zu bezahlen und anständig zu behandeln, da sie den Ruf als guten Arbeitgeber zu verlieren haben. Das spricht sich auf dem Arbeitsmarkt schnell herum. Der freie Markt regelt sich selbst.
Neue Gesetze und Verbote sind der falsche Weg, um die Situation der Angestellten zu verbessern. Ein staatlich diktierter Minimallohn schadet im Endeffekt genau jenen, denen man mit der Gesetzgebung eigentlich helfen wollte. Ob es Maria unter einem Minimallohn-Standard besser gehen würde, ist zu bezweifeln: Ohne staatlichen Eingriffe verdient sie zumindest ihre 3‘000 Franken pro Monat und kann sich damit ihren Lebensunterhalt finanzieren. Unter einem Mindestlohn-Regime hätte sie unter Umständen gar nichts. Die Beurteilung, welche Situation für Maria vorteilhafter ist, überlasse ich Ihnen.
Die Moral von der Geschichte: Mit staatlichen Interventionen in den freien Markt lässt sich keinen Wohlstand und erst recht keine Gerechtigkeit schaffen – zumal die selbstgerechten Initianten eines Mindestlohns vielfach jene sind, die selber die niedrigsten Löhne bezahlen: nämlich gar keine.
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Olivier Kessler, 1986, studiert International Affairs & Governance an der Universität St. Gallen (HSG). Er ist Kommunikations- und Strategieberater in einer PR-Agentur und freischaffender Journalist. Während vier Jahren war er Sekretär der SVP Kanton Schwyz und orientierte sich stets an einem freiheitsliebenden Kompass.
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